Prof. Dr. med. Gerhard Leyendecker

Gynäkologische Endokrinologie und Reproduktionsmedizin

Kinderwunschbehandlung

Sterilitätsdiagnostik und -therapie sind wesentliche Schwerpunkte der Frauenheilkunde und werden heute unter dem Begriff „Reproduktions- (=Fortpflanzungs)-Medizin“ zusammengefasst. Dazu gehören die gynäkologische Endokrinologie (Lehre von den Hormonen), Sterilitätsoperationen, die heute häufig „minimal invasiv“ (d.h. per Bauchspiegelung) durchgeführt werden und nicht zuletzt die assistierte Reproduktion mit den Methoden von IVF/ET und ICSI. Letztere Methoden haben die Behandlungsmöglichkeiten bei unerfülltem Kinderwunsch erheblich ausgeweitet und somit ganz wesentlich zum Aufschwung und der enormen Bedeutung der Reproduktionsmedizin beigetragen.

Gynäkologische Endokrinologie

Dieses Teilgebiet der Frauenheilkunde befasst sich mit der Steuerung der Hormone der Frau und ihren Störungen. Ausdruck einer intakten Steuerung ist das typische Eintreten der ersten Regelblutung während der Pubertät und danach die zunehmende Stabilisierung eines regelmäßigen Zyklus. Die Hormone des Eierstocks spielen auch eine große Rolle im Klimakterium und in der Postmenopause (Lebensphase nach Versiegen der Eierstockfunktion). Durch eine Hormonersatztherapie können viele der damit verbundenen Beschwerden gelindert werden (Trockenheit der Schleimhäute, Hitzewallungen, Schlaflosigkeit mit Ermüdung und Herzjagen).

Nicht eintretende, ausbleibende (falls keine Schwangerschaft vorliegt) oder unregelmäßig auftretende Regelblutungen sind Ausdruck einer Hormonstörung und können sogar Folge einer Erkrankung sein.

Hormonstörungen führen zu einer Eierstockunterfunktion (Ovarialinsuffizienz), die im Falle von Kinderwunsch eine Sterilitätsursache darstellt. Durch gezielte Untersuchungen, in denen die Hormonanalytik eine entscheidende Bedeutung hat, kann die Art der Ovarialinsuffizienz schnell erfasst und gegebenenfalls eine geeignete Therapie eingeleitet werden:

Hyperprolaktinämie: Es handelt sich um eine verstärkte Sekretion von Prolaktin aus der Hirnanhangsdrüse, hinter der sich häufig ein kleiner gutartiger Tumor (Prolaktinom) verbirgt. Die Frauen leiden unter einer Amenorrhoe (Fehlen der Regelblutung), manchmal auch unter einer Galaktorrhoe (Absonderung von Sekret oder Milch aus den Brustdrüsen).

Hyperandrogenämie: Es handelt sich um die verstärkte Sekretion von männlichen Keimdrüsenhormonen aus den Eierstöcken und den Nebennierenrinden. Das PCO-Syndrom ist die typische hyperandrogenämische Ovarialinsuffizienz (Syndrom der polycystischen Ovarien). Die Patientinnen haben seltene, häufig ganz ausbleibende Regelblutungen und weisen oft eine verstärkte Behaarung auf. Hormonanalytisch sind Testosteron und Androstendion im Blut erhöht, und im Ultraschall sind die Eierstöcke häufig vergrößert und zeigen randständig viele kleine cystische Follikel. Das PCO-Syndrom stellt die häufigste Hormonstörung bei jungen Frauen dar.

Hypothalamische Ovarialinsuffizienz. Diese beruht auf einem Mangel an gonadotropen Hormonen der Hirnanhangsdrüse, die die Eierstöcke stimulieren. Hierbei fehlt die zentrale Stimulation aus dem basalen Hirn (Hypothalamus), so dass sich die gesamte Kaskade von der Hirnanhangsdrüse, über die Eierstöcke bis zur Gebärmutterschleimhaut im Zustand der Unterfunktion befindet.

Primäre Ovarialinsuffizienz. Am Ende der fortpflanzungsfähigen Lebensphase der Frau sind die Eizellen aufgebraucht. Dies geschieht nicht so sehr durch die vielen Eisprünge sondern durch einen konstanten Verlust von Eizellen bzw. Eisbläschen, der auch durch viele Schwangerschaften oder die langjährige Einnahme der Pille nicht aufgehalten wird.
Es gibt Störungen, die zu einem völligen Fehlen oder sehr frühen Verlust von Eizellen führen, so dass die betroffenen Frauen nie eine Regelblutung hatten (primäre Amenorrhoe bei primärer Ovarialinsuffizienz) oder durch eine erhöhte Verlustrate bzw. einen geringen Vorrat von bzw. an Eizellen sehr viel früher als normal in die „Wechseljahre“ kommen (sekundäre Amenorrhoe bei primärer Ovarilainsuffizienz).

Störungen anderer Drüsensysteme (Schilddrüse und Nebennierenrinde), immunologische Erkrankungen (Autoimmunerkrankungen), Ernährungs- und  Stoffwechselstörungen können die Eierstocksfunktion beeinflussen.

Profertilitätsoperationen

Zur Reproduktionsmedizin gehören auch operative Eingriffe. Ohne operative Korrekturen an der Gebärmutter, den Eierstöcken oder Eileitern kann ein Kinderwunsch häufig nicht in Erfüllung gehen. Das Eibett, d.h. die Gebärmutter und ihre Höhle, muss durch geeignete Eingriffe erst in die Lage versetzt werden, einen Embryo aufzunehmen und eine Schwangerschaft ungestört austragen zu können. Hierzu gehören u.a. Korrekturen von Fehlentwicklungen oder die Beseitigung von Myomen der Gebärmutter (Myomenukleation). Durch den heute üblichen späten Kinderwunsch treten Erkrankungen der Gebärmutter auf, wie z.B. Myome, weswegen früher – bei bereits erfülltem Kinderwunsch – häufig die Gebärmutter entfernt wurde. Heute – bei noch nicht erfülltem Kinderwunsch – müssen unter Erhalt der Gebärmutter die Myome operativ entfernt werden. Es ist daher eine wichtige Aufgabe des Reproduktionsmediziners, die Gebärmutter durch Ultraschall und ggf. eine Magnetresonanztomographie (MRT) einer genauen Kontrolle zu unterziehen, damit Veränderungen, die die Kinderwunschbehandlung beeinträchtigen, nicht übersehen werden.

Myome der Gebärmutter Bedeutung für den Kinderwunsch, Erhalt des Uterus, Diagnose und Therapie.

Häufig können und werden Myome der Gebärmutter minimal invasiv, d. h. per Laparoskopie evtl mit gleichzeitiger Hysterskopie operiert. Das entspricht in der Regel auch dem Wunsch der Patientin. Leider hört man aber zu oft, dass die Indikation zur mininal invasiven Myomenukleation von einer ärztlichen Person gestellt worden ist, die aber dann die Operation nicht durchgeführt hat. Oft herrscht auch Unklarkeit über die Anzahl der vorhandenen Myome, wobei kleinere nicht selten übersehen werden, die aber im Zusammenhang mit dem Kinderwunsch entscheidend sind. Die Myomenukleation muß gut vorbereitet werden, und während dieser Vorbereitung muß entschieden werden, wie der Eingriff durchgeführt wird.

Künstliche Befruchtung (Assistierte Reproduktion)

Es handelt sich hierbei im wesentlichen um die In-vitro-Fertilisation (Reagenzglasbefruchtung; IVF) sowie um die Intracytoplasmatische Spermieninjektion (ICSI).

Die IVF-Behandlung kommt zur Anwendung, wenn die Samenfunktion des Partners oder Ehemannes ungestört, eine normale Befruchtung der Eizellen im Körper der Frau durch unterschiedliche Erkrankungen und Defekte jedoch nicht möglich ist (Zustand nach Eileiterschwangerschaft und nach Eileiterentzündungen; Endometriose; Verwachsungen). Bei diesem Verfahren werden Samenfäden zusammen mit Eizellen im Reagenzglas kultiviert, wobei die Samenfäden in die Eizellen eindringen und diese befruchten. Die so entstandenen Embryonen werden fünf Tage nach der Eizellgewinnung im Blastozystenstadium in die Gebärmutterhöhle gespült (Embryotransfer).

Die ICSI-Behandlung wird immer dann durchgeführt, wenn die Samenfäden aufgrund einer Bewegungsschwäche nicht in der Lage sind, in die Eizelle einzudringen. Durch die intracytoplasmatische Spermieninjektion wird der Spermienkopf mit dem genetischen Material in die Eizelle verbracht. Alle weiteren Behandlungsschritte entsprechen der IVF-Behandlung. Dennoch sind beide Behandlungsmethoden wegen der unterschiedlichen Indikation (siehe auch Krankenkassen und Versicherungen) strikt zu trennen.

Gesellschaftliche Aspekte der modernen Reproduktionsmedizin.

Moderne medizinische Methoden sind nicht nur für die Öffentlichkeit im Hinblick auf die Möglichkeit neuer Behandlungsformen von Interesse, sondern, wie andere wissenschaftliche Entwicklungen, die eine Grenze überspringen und in einen neuen Bereich vordringen (z.B. Gentechnologie, humanes Genomprojekt etc.), von höchster gesellschaftspolitischer Brisanz. Im Falle der Reproduktionsmedizin beruht dies auf der Möglichkeit des Zugriffs auf das menschliche Erbmaterial sowie mit dem damit verbundenen potentiellen Missbrauch. Die Sicherung des Vorteils dieser neuen Methoden für die Behandlung von Funktionsstörungen und Erkrankungen bei gleichzeitiger Vermeidung des Missbrauchs machte daher eine strikte gesetzliche Regelung erforderlich. Es handelt sich hierbei im wesentlichen um das Embryonenschutzgesetz (EschG) sowie berufsrechtlichen Regelungen, die von den jeweils zuständigen Landesärztekammern erlassen wurden.

Unter dem Aspekt der Qualitätssicherung der Leistung sowie auch unter dem Aspekt des EschG und somit der Verhinderung des potentiellen Missbrauchs wurde die Notwendigkeit einer gesetzlichen Regelung für die Zulassung zur Ausübung der assistierten Reproduktion gesehen (§ 121 a SGB V). Nach Anhörung der Landesärztekammer entscheidet das Hessische Gesundheitsministerium über die Zulassung einer Arbeitsgruppe zur assistierten Reproduktion. Hierbei müssen bestimmte personelle, fachliche, apparative und räumliche Bedingungen erfüllt sein. Die einzelnen Mitglieder und eventuelle personelle Veränderungen der Arbeitsgruppe müssen dem Ministerium mitgeteilt werden. Ein Anspruch auf Zulassung besteht nicht. Die Reproduktionsmedizinische Arbeitsgruppe im Kinderwunschzentrum Darmstadt besitzt die behördliche Zulassung nach §121a SGB V.

Die reproduktionsmedizinische Arbeitsgruppe in Darmstadt wurde in den Jahren 1984 bis 1986 an der Frauenklinik der Klinikum Darmstadt aufgebaut. 1986 wurde die erste In-vitro-Fertilisation durchgeführt und das erste „IVF-Baby“ geboren. Seit 1992 ist die Behandlung der männlichen Sterilität und Subfertilität mit Hilfe der intracytoplasmatischen Spermieninjektion (ICSI) Bestandteil des Programms.

Informationsbroschüren zum Download:
Große Broschüre:    „Informationen zu IVF, ICSI, MESA und TESE
Kleine Broschüre:    „Blastozystenkultur“

Sie gelangen durch Anklicken zu zwei Patientenbroschüren, die Informationen zu den bei uns angewendeten reproduktionsmedizinischen Methoden vermitteln.

Die ‚große’ Broschüre gibt einen umfassenden Überblick über die reproduktionsmedizinische Methodik bis hin zum Schwangerschaftsverlauf, sowie Gesetzeslage und Kostensituation (PDF).

Die ‚kleine’ Broschüre geht in reproduktionbiologische Details wie Z.B. das PN-Scoring und die Blastozystenkultur, TESE sowie die Präimplantationsdiagnostik.

30 Jahre Erfahrung mit künstlicher Befruchtung (IVF/ICSI)

1979: Geburt von Louisa Brown. Bei der IVF-Behandlung werden Ei- und Samenzellen ausserhalb des Körpers zusammengeführt (extrakorporale Befruchtung). Der oder die entstandenen Embryonen werden wenige Tage später in die Gebärmutterhöhle gespült (Embryotransfer). Die Pioniere waren die Professoren Edwards und Steptoe.

1986: Arbeitsbeginn des Zentrums für Reproduktionsmedizin an der Frauenklinik des Klinikum Darmstadt. Im April 1986 kam es zur ersten Schwangerschaft durch In vitro Fertilisation (IVF) und Anfang 1987 zur Geburt.

1992: Einführung der Intracytoplasmatischen Spermieninjektion (ICSI)

2001: Einführung der Blastozystenkultur

2007: Einführung von IMSI und Ablehnung der „Dreierregel“

2010: Einführen des Embryoscops

Bis heute: Schrittweise Verbesserungen der Embryokultur und der verschiedenen Verfahren der Kryokonservierung von Eizellen, Eizellen im Pronukleusstadium (PN-Stadium) und von Embryonen.

Diese Maßnahmen haben zu einer Anhebung der mittleren Schwangerschaftsrate pro Zyklus von ca 25% auf 50% geführt.

In hervorragenden Zentren wird eine mittlere Lebendgeburtenrate pro begonnenem Zyklus von etwa 30% erreicht.

© 2017-2022 Prof. Dr. med. G. Leyendecker